Rezension: The Thaumaturge (PS5)

Als Thaumaturge ermittelt Wiktor Szulski in The Thaumaturge mit übernatürlichen Kräften und geisterhaften Begleitern im Todesfall seines Vaters.

Nachdem The Thaumaturge bereits im März 2024 für den PC erschienen ist, hat es das Rollenspiel des polnischen Studios Fool’s Theory im Dezember auch auf PlayStation 5 und Xbox Series X geschafft. Die Geschichte erzählt von Wiktor Szulski, der als Thaumaturge mit übernatürlichen Kräften geheimnisvolle Ereignisse untersucht. Als er zur Beerdigung seines Vaters nach Warschau zurückkehrt, beginnt seine Ermittlung der Todesumstände des von ihm entfremdeten Elternteils. Angesiedelt im Jahr 1905 setzt The Thaumaturge nicht nur aufgrund der Hauptfigur und seinen Fähigkeiten, sondern auch mit dem Schauplatz auf ein unverbrauchtes Setting. Dabei wird auch auf historische Fakten zurückgegriffen und bekannte Persönlichkeiten wie Grigori Jefimowitsch Rasputin als wichtige Nebenfiguren etabliert. Die Geschichte ist die wahrscheinlich größte Stärke des Rollenspiels.

Wunderwirker und menschliche Lasten

The Thaumaturge beginnt nicht in Warschau, sondern in einem kleinen abgelegenen Dorf. Dort sucht Wiktor nach einem Wunderheiler, der ihm helfen kann. Seine Kräfte als Thamaturge haben dazu geführt, dass er den Bezug zur Realität verliert, weshalb er sich von dem eben bereits erwähnten Rasputin Rettung erhofft. Es ist kein großer Spoiler zu verraten, dass Rasputins Behandlung Wiktor hilft und auch im weiteren Verlauf des Rollenspiels wird Rasputin ein wichtiger Unterstützer für Wiktor. Abseits der eigenen Behandlung gilt es im Prolog-Gebiet, Ermittlungen in einem seltsamen Todesfall und einer im Dorf umgehenden Geschichte einer gefährlichen Bestie zu ermitteln. Hier werden die Gameplay-Grundlagen erklärt und zugleich die Rolle Wiktors als Thaumaturge.

Die ungewöhnliche Profession des Hauptcharakters ermöglicht es ihm, geisterhaft-dämonische Kreaturen, genannt Salutoren, zu sehen und an sich zu binden. Diese hängen stets mit menschlichen Lastern zusammen und haben entsprechend Auswirkungen auf ihr Umfeld. Für eine Ermittlung müssen allerlei Objekte in der Welt untersucht und umfangreiche Gespräche geführt werden, um Hinweise zu finden und Spuren zu verfolgen. Letztlich zieht Wiktor eine Schlussfolgerung, die zur Aufklärung der jeweiligen Haupt- oder Nebenquest führt. Bedauerlich dabei ist, dass es nicht erforderlich ist, selbst zu knobeln. Stattdessen erfolgen die Schlussfolgerungen automatisch, sobald alle Beweise gefunden wurden. Hier verschenkt The Thaumaturge wichtiges Potential, das mehr Freiheit und Tiefe geboten hätte.

Atmosphärische Ermittlungen mit Konsequenzen

Daran zeigt sich allerdings, wie stark die Geschichte im Mittelpunkt steht. Denn obwohl bei den Schlussfolgerungen kein selbständiges Knobeln möglich ist, so dürfen trotzdem zahlreiche Entscheidungen mit spürbaren Auswirkungen getroffen werden. Wiktors Handlungen und Antworten in Gesprächen sind entscheidend für den Ablauf der Geschichte. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass sich eine Person an etwas erinnern wird und tatsächlich hat das im Verlauf des Rollenspiels auch Folgen. Besonders im letzten Drittel sind die Konsequenzen der Entscheidungen deutlich zu spüren. Das sorgt für reichlich Mehrspielwert. Zusätzlich erhöht wird dieser durch optionale Salutoren, die Wiktor an sich binden kann. Alle zu finden, ist gar nicht so einfach.

Es ist jedoch nicht nur die Hauptgeschichte, die fesselt. Auch Nebenhandlungen wissen zu überzeugen und setzen auf genauso spannende Themen. So setzt The Thaumaturge auf große Familiendramen, politische Intrigen und kleine Ereignisse mit vielfältigen und nachdenklich stimmenden Themen. Das ist erstklassig inszeniert und lebt von den gut geschriebenen Dialogen sowie glaubhaften Charakteren. Zudem überzeugt das Rollenspiel mit einer dichten Atmosphäre und dem unverbrauchten Setting.

Taktische Auseinandersetzungen

Abseits der Ermittlungen warten in The Thaumaturge rundenbasierte, cineastisch inszenierte Kämpfe. Wiktor stellt sich Feinden gemeinsam mit den Salutoren, die er an sich gebunden hat. Die Auseinandersetzungen in The Thaumaturge fühlen sich angenehm eigenständig und frisch an. Als Wiktor gilt es Aktionen gut zu planen, die Zugreihenfolge zu beachten und zu manipulieren, Resistenzen und Schwächen auszunutzen beziehungsweise zu kontern und die Verteidigung von Gegnern zu brechen. Dazu gesellen sich Wechselwirkungen der Salutoren untereinander. Leider mangelt es den Kämpfen an Gegnervielfalt und mit der Zeit wirken sie etwas gleichförmig. Trotzdem bleiben sie bis zum Ende spannend.

Optisch überzeugt The Thaumaturge mit einer stimmungsvollen Welt, die aus der isometrischen Draufsicht betrachtet wird. Das Warschau des Jahres 1905 ist gut eingefangen und auch bei den Charakteren weiß das Rollenspiel zu überzeugen. Zudem wissen die schaurig-schönen Salutoren-Designs zu gefallen. Allerdings zeigt The Thaumaturge auch Schwächen. So fallen etwas schwache Gesichtsanimationen in den zahlreichen Gesprächen genauso auf wie die auf der PlayStation 5 nicht immer beständige Technik. Diese kann den Spielspaß aber glücklicherweise nicht beeinträchtigen. Zudem sorgt die Musik- und Sounduntermalung für eine noch dichtere Stimmung, während die englische Vertonung den Figuren glaubhaft Leben einhaucht. Ebenso sind die deutschen Texte gelungen, was bei einem sehr text- und leselastigen Rollenspiel wie The Thaumaturge enorm wichtig ist.

Fazit

The Thaumaturge ist ein ungewöhnliches, aber überaus spannendes Rollenspiel, das sicherlich nicht jedem Genre-Fan gefallen wird. Wer sich auf die Geschichte von Wiktor Szulski einlässt, muss bereit sein, viel zu lesen und gelegentlich sehr gemächliche Szenen mit Leerlauf in Kauf nehmen. Als Belohnung wartet eine überaus spannende Geschichte mit konsequenten Entscheidungen, glaubhaften Charakteren, gut geschriebenen Dialogen und dichter Atmosphäre. Zudem weiß das Gameplay zu überzeugen, auch wenn ich gerne Schlussfolgerungen selbst ausgeknobelt und vielleicht sogar mal falsch gelegen hätte. Das ist aber nur ein kleiner negativer Punkt, der am Spielspaß wenig ändert. Zumal auch die Kämpfe trotz kleiner Schwächen überzeugen. Besonders Fans vielschichtiger, spannender Geschichten in stimmungsvollem Setting sollten The Thaumaturge unbedingt eine Chance geben.

Kurzfazit: Spannendes und atmosphärisches Rollenspiel, das trotz kleiner Schwächen mit packender Geschichte, unverbrauchtem Setting, glaubhaften Charakteren, konsequenten Entscheidungen und gelungenem Gameplay fesselt. Ein Genre-Geheimtipp.

Vielen Dank an 11 bit studios & Fool’s Theory für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von The Thaumaturge!