Rezension: Paranoia Agent Gesamtausgabe (Blu-ray)
Ende Januar erschien Satoshi Kons surreale Mystery-Psycho-Thriller-Serie Paranoia Agent als Gesamtausgabe auf Blu-ray.
Die junge Designerin Tsukiko Sagi hat durch den Entwurf von Maromi Berühmtheit erlangt. Als introvertierte, ruhige Person fällt es ihr schwer mit dem Druck und den Erwartungen, die an sie gestellt werden zurechtzukommen. Besonders da viele einen neuen Entwurf und einen weiteren Erfolg wie Maromi von ihr erwarten. Auf dem Weg nach Hause wird sie von einem mysteriösen Täter überfallen und angegriffen. Bei Shounen Bat, wie der Täter genannt wird, soll es sich um ein Kind mit goldenen Rollerblades und goldenem Baseballschläger handeln. Schon bald werden weitere Menschen angegriffen, doch die mit dem Fall betrauten Polizisten Keiichi Ikari und Mitsuhiro Maniwa haben Schwierigkeiten den Fall zu lösen.
Mysteriöser Täter
Zu Beginn scheint es so, als würde Paranoia Agent eine tiefgründige Psycho-Thriller-Geschichte erzählen, die sich um die Überfälle von Shounen Bat drehen. Schnell wird deutlich, dass weit mehr Mystery-Elemente ins Spiel kommen als man vielleicht erwartet hat. Satoshi Kon liefert erneut ein surreales Werk ab, das sich mit den Problemen und Ängsten seiner Charaktere auseinandersetzt und den Zuschauer bis zum spannenden und gelungenen Ende immer wieder verwirrt und staunen lässt.
Eine große Besonderheit von Paranoia Agent ist der stetige Wechsel der Protagonisten. Fast jede der dreizehn Episoden führt einen neuen Charakter ein oder legt die Konzentration auf bisher nur im Hintergrund oder am Rande verwendeter Figuren. Obwohl durch diesen stetigen Wechsel die Gefahr besteht, dass kaum einer der Charaktere wirkliche Tiefe und Persönlichkeit aufbauen kann, ist es gelungen, wirklich jede wichtige Figur exzellent vorzustellen. Die Probleme, Ängste und Wünsche der handelnen Charaktere werden deutlich und sie erhalten trotz ihrer teils nur eine Episode umfassenden Auftritt mehr Profil als so mancher Protagonist anderer Anime-Serien über mehrere Episoden hinweg. Eine Meisterleistung des Teams hinter Paranoia Agent.
Interessant ist, dass jedes der Opfer von Shounen Bat mit ganz persönlichen Problemen zu kämpfen hat und sich durch diese in die Enge getrieben fühlt. Dadurch spricht die Serie sehr ernste Themen an. Egal ob Mobbing, psychische oder gesundheitliche Erkrankungen, Geldnot, Familien- und Eheprobleme oder einfach nur der Druck und die Erwartungen des alltäglichen Lebens und der Arbeit. All das bedrückt die Charaktere in Paranoia Agent und wird hervorragend, stets passend und glaubhaft umgesetzt. Gerade diesen völlig unterschiedlichen Hintergründen der einzelnen Charaktere ist es zu verdanken, dass man unweigerlich mit den Figuren mitfühlt und sich wünscht, dass ihr Leben besser verläuft. Oder aber man entwickelt angesichts ihrer Persönlichkeit Abneigung gegen sie und denkt, dass die Dinge, die passieren fast schon verdient sind. Damit zeigt Paranoia Agent allerdings keine Moral auf, sondern offenbart nur die Tiefgründigkeit und Vielfalt der Menschen.
Surreal
Paranoia Agent ist trotz seiner realistischen und nachvollziehbaren Charaktere keine rein realistische Serie. Viel mehr setzen Satoshi Kon und Studio Madhouse auf abstrakte und verwirrende Szenen. Immer wieder sitzt man vor dem Fernseher und ist einfach nur überrascht und verwirrt angesichts der Ereignisse die passieren. Schon in der zweiten Episode beginnt das surreale Spiel mit Realität und den Vorstellungen der Charaktere. Dabei schreckt Paranoia Agent auch nicht vor Halluzinationen oder Realitätsflucht zurück. Ein Höhepunkt stellt hierbei Episode fünf dar, die ein interessantes, aber höchst verwirrendes Bild auf die bisherigen Ereignisse wirft.
Bedauerlich ist, dass Paranoia Agent nach den ersten sieben Episoden, die durch die Ermittlungen von Ikari und Maniwa einen roten Faden erhalten, deutlich nachlässt. Zwar kehren zum Ende hin bekannte Charaktere zurück und die Geschichte um Shounen Bat wird erneut aufgegriffen, doch zuvor finden sich einige Episoden, deren Sinn und Zweck für die größere Handlung ein Rätsel bleiben. Sie fühlen sich so an, als wären sie eingefügt worden, um noch mehr Geschichten über Shounen Bat zu erzählen und die Tragweite des Mythos um ihn zu verdeutlichen. Im Einzelnen betrachtet sind die Episoden zumindest unterhaltsam, dennoch fügen sie sich nicht so gut in das Gesamtbild ein und sorgen dafür, dass die Serie ein wenig an Zugkraft verliert.
Zum Ende hin kehrt jedoch der rote Faden langsam zurück und eine Auflösung der Herkunft und Art von Shounen Bat rückt in greifbare Nähe. Doch trotz des scheinbar eindeutigen Endes, ist es offen. Paranoia Agent wirft über alle Episoden hinweg Fragen auf und verwirrt immer wieder. Es gelingt am Ende aber die Puzzleteile weitgehend zueinander zu bringen und zumindest einen befriedigenden Abschluss zu liefern, der zum Nachdenken anregt und dafür sorgt, dass man sich noch lange mit der Serie beschäftigt. Das liegt allerdings auch an einigen Unklarheiten und Thematiken, die am Ende ungelöst bleiben.
Obwohl Paranoia Agent aus dem Jahr 2004 stammt und damit bereits über zehn Jahre alt ist, können Animationen und Bild fast uneingeschränkt überzeugen. Nur wenige Szenen sind nicht hundertprozentig auf dem Niveau einer Blu-ray, ansonsten erstrahlt das Bild in 1080p. Dadurch werden die stets flüssigen Animationen und die detailgenauen Zeichnungen perfekt zur Geltung gebracht. Eine weitere Stärke ist das Charakterdesign, das zwar teilweise gewöhnungsbedürftig, aber immer einzigartig ist. In optischer Hinsicht hat Madhouse ganze Arbeit geleistet. Ähnliches lässt sich auch bei der musikalischen Untermalung der Serie feststellen. Angefangen beim ungewohnten Intro mit seinem extravaganten Titellied, das sich schnell ins Gedächtnis brennt und auch in einigen Szenen passend eingesetzt wird. Allgemein gestaltet sich die Musik sehr variabel. Neben humorvoll anmutenden Stücken, die die Ereignisse noch verstörender wirken lassen, finden sich ruhige, besinnliche und düstere Klänge.
Fazit
Paranoia Agent zeigt, dass der gerne angebrachte Vergleich zwischen Satoshi Kon und dem US-Regisseur David Lynch mehr als gerechtfertigt ist. Sowohl im positiven als auch negativen Sinn. Es handelt sich ganz sicher um keine leichte Serie. Teilweise ist sie etwas zu verwirrend und surreal, schafft es zugleich aber durch die spannende Geschichte und gut geschriebenen Charaktere zu unterhalten. Die spannende Krimi-Geschichte um einen mysteriösen Jungen, der Menschen überfällt und niederschlägt, wird auf so surreale und häufig verwirrende Weise erzählt, dass man sich immer wieder fragt, was eigentlich gerade passiert. Das Geschehen auf dem Fernseher wirkt oft unwirklich und dennoch passt jede einzelne Szene perfekt. Die Serie spielt mit den Einbildungen und Halluzinationen der handelnden Figuren. Besonders die Ängste und Probleme der Charaktere führen zu teils ungewöhnlichen Stilmitteleinsätzen, die sich perfekt in das Gesamtbild einfügen. Zugleich ist es faszinierend, wie viel Persönlichkeit die Charaktere verliehen bekommen haben. Unterm Strich ist Paranoia Agent eine der intelligentesten, tiefgründigsten, verwirrendsten und surrealsten Anime-Serien, die ich jemals gesehen habe. Leider will die Serie zum Teil etwas zu viel, weshalb Fragen offen bleiben. Trotzdem kann das Ende zufriedenstellen und der Unterhaltungswert bleibt erhalten. Besonders wegen der ungewöhnlichen Erfahrung, kann ich Paranoia Agent klar empfehlen.
Kurzfazit: Surrealer, tiefgründiger Mystery-Psycho-Thriller, der Probleme und Ängste von Menschen thematisiert.
Vielen Dank an Kazé Anime für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Paranoia Agent!
Details
Titel: Paranoia Agent Gesamtausgabe
Genre: Mystery
Regie: Satoshi Kon
Studio: Madhouse
Produktionsjahr: 2004
Laufzeit: ca. 325 Minuten
Sprachen: Deutsch, Japanisch (DTS-HD MA 2.0)
Untertitel: Deutsch
Herkunftsland: Japan
Altersfreigabe: ab 16
Erscheinungstermin: 29. Januar 2016
Herstellerseite: Paranoia Agent bei Kazé Anime
Bilder Copyright Madhouse / Kazé Anime